Prolog
Diese Woche wurde vor dem Hintergrund der Vorgänge um die ehemalige ARD-Vorsitzende und RBB-Intendantin Patricia Schlesinger, deren Finanzgebaren an Franz-Peter Tebartz-van Elst erinnert, erneut über Aufgaben und Berechtigung des öffentlich- rechtlichen Rundfunks diskutiert. Ich hätte lieber über Stil und Geschmack diskutiert. Bei der 650.000 Euro teuren Einrichtung der RBB-Chefetage handelt es sich um grausamen Parvenü-Chic.
Aber zurück zur Diskussion: Hier werden jeder Seite groteske Behauptungen aufgestellt und Maximalforderungen geäußert. Die einen grölen, dass die die Öffentlich-Rechtlichen komplett abschafft gehören. Die anderen bolzen in Form der Diffamierung von Kritik dieses überdimensionierten Apparats als rechtspopulistisch zurück. Dass auch Rechtspopulisten das System des ÖRR kritisieren, macht nicht jeden Kritiker zum Rechtspopulisten oder die Kritik rechtspopulistisch. Diese Argumentation ist unseriös.
Richtig ist, dass das System ÖRR eine wichtige Funktion hat. Es muss allerdings dringend und von Grund auf reformiert werden. Meiner Meinung nach genügt eine Grundversorgung an Information, Bildung und Kultur, über deren genaue Ausgestaltung diskutiert werden kann. Der monatliche Beitrag würde drastisch sinken. Unterhaltungsformate und Sport würden zubuchbare Optionen. Wenn es für diese Formate nicht genug Nachfrage gibt, müssten sie eingestellt werden.
Was in diesen Debatten noch auffällt ist, dass Kritik oft als Majestätsbeleidigung aufgefasst wird. Das gilt auch für Kritik an der Regierung. Früher galt diese als progressiv und die sie Äußernden waren Lieblinge der linken Schickeria. Heute ist das Wohlwollen vom Inhalt der Kritik abhängig. Wer das Falsche missbilligt, wird mindestens als nicht satisfaktionsfähig, immer häufiger sogar als Demokratiefeind gebrandmarkt. The times they are a-changin'.
Insgesamt verschlechtert sich die Diskussionskultur immer mehr. Das liegt auch daran, dass sich viele Menschen an einem Punkt in ihrem Leben bewusst oder unbewusst für eine bestimmte Sicht auf die Welt entscheiden. Daran ist nichts auszusetzen. Schwierig wird es aber, wenn diese Sicht nicht auf Fakten basiert und/oder nicht regelmäßig mit der Realität abgeglichen wird.
Letzte Woche hatte ich ich eine Umfrage gestartet, ob Sie an einer Kommentarfunktion interessiert wären. Da 75% der Leserschaft diese Option begrüßen würden, ist sie von nun an aktiviert. Ich bin gespannt und freue mich auf Ihre Kommentare.
Nun aber los. Heute geht es um Medien, Meinungsvielfalt und Verbannungsmechanismen an Universitäten.
Politik und Gesellschaft
Kulturstaatsministerin Claudia Roth gab bekannt, unabhängigen Journalismus mit 2,3 Millionen Euro fördern zu wollen. Liest sich erst einmal positiv. Wenn man sich aber genauer anschaut, wer davon profitieren soll, ergibt sich ein anderes Bild. Marc Felix Serrao hat das getan.
Die freundliche Antwort lautet: Weil Frau Roth es einfach gut meint. Die weniger freundliche Antwort lautet: Weil es möglicherweise auch darum geht, eine Form von Publizistik zu fördern, die politisch im Sinne der regierenden Geldgeber ist. Sucht man bei Google beispielsweise nach «Correctiv» und «Claudia Roth», erhält man auf den ersten Blick nur Treffer, über die sich die Grüne freuen kann. Gewiss, Falschnachrichten im Netz sind ein Ärgernis, und Frau Roth war davon, wie viele andere Politiker auch, oft betroffen. Aber so ausdauernd wie vom «Recherchezentrum» Correctiv dürfte sie sonst nur von ihren Mitarbeiterinnen verteidigt werden.
Die Staatsministerin betont, dass alle Förderentscheidungen «zur Wahrung der Staatsferne» von einer unabhängigen Jury beurteilt würden. Doch auch unter den anderen Auserkorenen fällt niemand ins Auge, der schon einmal auf eine Weise berichtet hätte, die Frau Roth oder ihrer Partei missfallen könnte.
Die «Neuen deutschen Medienmacher» etwa verteidigten die Grüne, als sie wegen ihrer Kontakte zum antisemitischen Regime in Iran kritisiert wurde. «Eilmeldung: Antisemitismus durch Claudia Roth in Deutschland salonfähig», höhnten sie – und ergänzten, dass landesweit «schallendes Gelächter» in den Gräbern unter anderem von Kurt Georg Kiesinger sowie in AfD-Parteizentralen vernommen worden sei.
Die «Medienmacher», deren frühere Vorsitzende Ferda Ataman übrigens auch in der besagten unabhängigen Jury sitzt und die von den Grünen gerade erfolgreich ins Amt der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung gebracht wurde, erhalten in diesem Jahr eine Förderung von bis zu 200 000 Euro.
Zur Erinnerung: Die «Medienmacher» sind der Verein, der Spiegel TV wegen dessen investigativer Recherchen zur Clankriminalität in Deutschland einen Schmähpreis namens «Goldene Kartoffel» verliehen hat. Eine Jury, die in einer solchen Organisation «Pfeiler und Stütze der Demokratie» (Claudia Roth) erkennt, kann kein richtiger Journalist ernst nehmen.
Das feministische Magazin “Edition F” teilt seine Insolvenz mit und verabschiedet sich von seinen Lesern. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals eine dort geäußerte Meinung geteilt zu haben. Maximale Meinungsvielfalt ist allerdings ein wichtiges Element der Demokratie. Deshalb bedauere ich diese Entwicklung. Wer darüber feixt, denkt zu kurz.
Die Corona-Jahre haben uns immer wieder vor Herausforderungen gestellt, die wir mit großem Teamspirit, ungeheurer Widerstandskraft und Hartnäckigkeit gemeistert haben. Bis jetzt. Doch die immens gestiegenen Kosten für unsere Events, insbesondere den FFF DAY, und die kleineren Budgets von langjährigen und neuen Partner lassen uns nach zwei erschöpfenden Jahren und einer neuen wirtschaftlich angespannten Lage keine Wahl. Wir haben alles versucht – für das Unternehmen, das Team und alle Menschen, die an uns geglaubt und auf uns gezählt haben – und mussten schmerzhaft erkennen, dass die Insolvenz unvermeidbar ist. Das tut mir besonders für das wundervolle Team, alle Ticketkäufer, Speaker für den FFF DAY und alle Partner, mit denen wir lange Zeit vertrauensvoll arbeiten durften, sehr leid”, sagt Lana Wittig, Geschäftsführerin von EDITION F.
Mit dem Thema “Cancel Culture” und wie sie aufklärerische gesellschaftliche Errungenschaften zurückdreht, beschäftige ich mich seit vielen Jahren. Besonders an Universitäten ist diese Taktik zur Ausgrenzung unliebsamer Positionen und der sie äußernden Personen immer häufiger anzutreffen. Dieter Schönecker findet diesen Begriff zu ungenau und begründet sehr differenziert. Es handelt sich dabei um einen der besten Artikel, die ich je zu diesem Thema gelesen habe. Es freut mich sehr, dass dieses Thema inzwischen regelmäßig in seriösen Medien behandelt wird.
Es versteht sich, erstens, von selbst, dass Kritik in den Wissenschaften essenziell, von akademischer Verbannung aber zu unterscheiden ist, auch wenn nicht immer klar ist, wo die Grenze liegt. Kritik kann in Schmähkritik, ja Hasskritik umschlagen. Wer genuin kritisiert, nimmt mit Thesen und Argumenten an einer Debatte teil. Wer akademisch verbannt, will dagegen diese Debatte gerade verhindern. Es ist also ein sehr schwaches Argument, den Kritikern akademischer Verbannung vorzuwerfen, sie wollten sich nur gegen Kritik immunisieren.
Es ist, zweitens, ganz herrschende juristische Meinung, dass zumindest die Positionen der bisher in Deutschland verbannten Personen durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt sind (allerdings greift dieser Artikel nicht ohne Weiteres bei nichtstaatlichen Akteuren). Man darf auch an einer Universität der Frage nachgehen, ob Boykottmaßnahmen gegen den israelischen Staat legitim sein können. Man hat das Recht, Peter Singer einzuladen und sogar Thilo Sarrazin. Selbstverständlich dürfte Kathleen Stock an einer deutschen Universität die These vertreten, Transmenschen, die sich etwa für eine Frau halten, seien keine weiblichen (females), sondern männliche Menschen (males). Und jemand wie Martin Wagener sollte für seine These, dass die deutsche Staatsbürgerschaft keine notwendige Bedingung dafür ist, Deutscher zu sein, vor den Übergriffen durch eine staatlich-politische Behörde wie das Bundesamt für Verfassungsschutz unter Verweis auf Art. 5 Abs. 3 GG geschützt werden. Es ist an der Zeit, dass die Apologeten und Leugner akademischer Verbannung Wissenschaftsfreiheit als Recht anerkennen.
Ziviler Ungehorsam ist vor allem dann illegitim, wenn er sich als direkter ziviler Ungehorsam unmittelbar gegen die Inanspruchnahme eines Grundrechts wie das der Wissenschaftsfreiheit wendet. Eine Wurzel zivilen Ungehorsams ist die epistemische Arroganz ihrer Advokaten. Ein Beispiel: Wer die Selbstbestimmung von Frauen und damit auch das Recht auf Abtreibung für ein Menschenrecht hält, der wird jenen, die Abtreibung für so eklatant falsch halten, dass sie durch zivilen Ungehorsam dagegen protestieren, typischerweise das Recht auf solchen Ungehorsam gegen ein gesetzlich kodifiziertes Abtreibungsrecht absprechen. Abtreibungsgegner hingegen werden argumentieren, dass Frauen zwar ein Recht auf Selbstbestimmung haben, dieses aber seine moralische Grenze darin finde, dass die Rechte eines anderen Menschen gravierend verletzt werden. Sie werden also genauso argumentieren wie diejenigen, die ihre Akte zivilen Ungehorsams gegen einen universitären Redner wie etwa den Princetoner Philosophen Robert P. George (der homosexuelle Akte für moralisch falsch hält) dadurch zu legitimieren versuchen, dass dieser zwar ein Recht auf Wissenschaftsfreiheit habe, es aber seine moralische Grenze darin finde, dass die Rechte anderer, homosexueller Menschen, gravierend verletzt würden.
Es ist, drittens, nur durch Ignoranz oder Lüge bestreitbar, dass es eine beträchtliche Anzahl dokumentierter Fälle akademischer Verbannung gibt. Die etwa vom Frankfurter Sozialphilosophen Stephan Lessenich vertretene These, in Deutschland gebe es nur ganz wenige Fälle, ist schlichtweg falsch. Es sind mehrere Dutzend, wobei damit allein die dokumentierten, klaren Fälle gezählt sind. Nicht eingerechnet sind die mehr oder weniger großen Einschränkungen, die atmosphärischer Natur sind und oft in Selbstzensur münden. Zu diesen Fällen gehören Versuche, Vorträge zu stören oder zu verhindern und Veranstaltungen zu verbieten; bestimmte Thesen und Themen für nicht mehr diskussionswürdig zu erklären und aus dem Diskurs auszuschließen; Forderungen, unliebsame Personen zu entlassen; Mittelstreichungen durch Rektoren oder Dekane; Dienstaufsichtsbeschwerden; massiver sozialer Druck durch offene Briefe oder shitstorms bis hin zu Morddrohungen; die Verhinderung von Publikationsmöglichkeiten bis hin zur Zensur.
Reden wir lieber von Verbannung - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zum Ende der Rubrik wieder Sehenswertes. John Cleese spricht im Rahmen des “FreedomFest” in Las Vegas über seine These, dass politische Korrektheit und sogenannter Wokeism sich in keinem Bereich menschlichen Handelns mit kreativem Denken vereinbaren lassen.
Kultur
Coverversion der Woche: The Who - Heatwave
Nachdem Anfang der Woche bekannt wurde, dass Lamont Dozier, der sich in aller Bescheidenheit “Black Bach” nannte, im Alter von 81 Jahren verstorben ist, war klar, dass ich einen von ihm komponierten oder produzierten Titel auswählen würde.
Als Teil des Komponisten-Trios Holland-Dozier-Holland war er maßgeblich am Erfolg von Motown Records beteiligt. Zusammen platzierten sie zwölf Nummer-eins-Titel in den US-Singlecharts. Heat Wave war einer davon.
Es war die zweite erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Martha and the Vandellas und dem Team. Das Stück enthält einen Gospel-Backbeat, Jazz-Obertöne und Doo-Wop-Gesang. Es war zudem eines der ersten Stücke, die den Musikstil verkörperten, der später als "Motown Sound" bezeichnet wurde. Die Single Platz 4 der Billboard Hot 100 und Platz 1 der Billboard R&B Singles Chart. Sie erhielt auch die einzige Grammy Award-Nominierung der Gruppe für die beste Rhythm and Blues-Aufnahme im Jahr 1964. Die Vandellas waren damit die erste Motown-Gruppe, die jemals eine solche Nominierung erhielt.
Die deutlich rauhere Version von The Who wurde 1966 veröffentlicht und zeugt von der Liebe der Gruppe zu schwarzer Musik.
Epilog
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Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #97
"Was in diesen Debatten noch auffällt ist, dass Kritik oft als Majestätsbeleidigung aufgefasst wird. Das gilt auch für Kritik an der Regierung." Sie treffen den Nagel auf den Punkt. Bei Schlesingers Statement musste ich unweigerlich an Anne Spiegel denken, die sich ebenso als "Opfer" des "politischen Drucks" inszenierte. Moralisches Rückgrat oder Fähigkeit zur Selbstkritik sucht man heutzutage im politische Bereich vergebens. Schlesingers Statement ("Die persönlichen Anwürfe und Diffamierungen haben aber ein Ausmaß angenommen, das es mir auch persönlich unmöglich macht, das Amt weiter auszuüben.") fand ich angesichts der Vorwürfe wirklich unerträglich.
Zum Thema Cancel Culture in an deutschen Universitäten: Ein trauriger Trend, der aus der anglosächsischen Sphäre rüberschwappt. Ich frage mich wirklich, wo die akademische Forschung denn noch hin soll, wenn irgendwann alle kritischen Stimmen entweder verbannt wurden oder selbst gegangen sind.