Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #96
Prolog
Letzte Woche war ich im Museum Barberini in Potsdam, um die Ausstellung “Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion nach 1945” zu besuchen. Die Schau beschäftigt sich mit dem kreativen Wechselspiel zwischen abstraktem Expressionismus und informeller Malerei im transatlantischen Austausch und Dialog von Mitte der 40er Jahre bis zum Ende des kalten Kriegs. Gelungen und beeindruckend. Ein Besuch sei hiermit ans Herz gelegt. Was mir in Potsdam immer wieder auffällt, ist der krasse Kontrast zu Berlin. Dort herrscht eine völlig andere Stimmung. Vieles, was mich in Berlin stört, gibt es dort nicht. Deshalb fühlt sich jeder Besuch wie ein Kurzurlaub an. Natürlich ist es auch in Berlin schön, wenn man die richtigen Orte kennt, aber insgesamt werde ich dieser Stadt wohl immer durch eine Hassliebe verbunden bleiben.
Es gibt die Möglichkeit, hier Kommentare zu aktivieren. Dazu würde mich Ihre Meinung interessieren.
Nun aber los. Heute geht es unter anderem um Vorurteile, Demokratie und das Bürgertum.
Politik und Gesellschaft
Kommentare, die sich kritisch mit den Grünen, der SPD und damit verbundenen Positionen auseinandersetzen, hört und liest man in den Medien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur sehr selten. Nun hat Frank Buchwald sich in einem lesenswerten Stück anhand der Beispiele Christian Lindner und Robert Habeck mit Vorurteilen und Doppelmoral auseinandergesetzt.
…, das lange eingeübte Wahrnehmungsmuster aber wirkt manchmal eben plausibler als die Wirklichkeit. Die Grünen profitieren von diesem Paradox. Ihr David-gegen-Goliath-Image wirkt bis heute: aufrechte, idealistische Umweltschützer, die sich mächtigen Konzernen mutig entgegenstellen.
Dabei besteht ihr Klientel zu größeren Teilen längst aus saturierten Besserverdienern, viele bequem abgefedert im öffentlichen Dienst. Auch unter Grünen-Wählern freuen sich nicht wenige über den gepflegten Oldtimer in der Garage (wie Lindner über seinen gut 30 Jahre alten 911er). Statussymbol ist dann jedoch das Karbon-Rennrad, für dessen Anschaffungspreis auch gut ein Kleinwagen zu haben wäre.
Wenn Robert Habeck nun also notgedrungen urgrüne Positionen räumt, schädliche Kohlekraftwerke wieder hochfahren lässt, wenn er vor dem Emir von Katar den Kotau macht und gar die verteufelten Atomkraftwerke vielleicht länger laufen, nimmt das den Grünen bisher kaum jemand übel. Es geht halt nicht anders.
Völlig grotesk wird es, wenn obendrein noch politische Kompensationsgeschäfte lanciert werden: Weil die gebeutelten Grünen so viele Positionen hätten räumen müssen und sogar über Atomkraftwerke redeten, so heißt es gelegentlich, müsste die FDP doch nun ihrerseits einem Tempolimit auf Autobahnen zustimmen. Ob ein solcher Kuhhandel wirklich hilft, bleibt unklar, der Deal aber trägt die Signatur einer sehr deutschen Symbolpolitik.
Und er verkennt, dass der Finanzminister politisch ebenso viele Kompromisse eingegangen ist, wie sein Kollege im Wirtschaftsressort. Eine riesige Neuverschuldung, einschließlich des Hundert-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr: nicht selbstverständlich für eine FDP, die solche "Schattenhaushalte" zu Oppositionszeiten immer kritisiert hat.
Hinter dem Streit um politisches Klein-Klein rückt die Diskussion über die größeren politischen Fragen mehr und mehr in den Hintergrund: Etwa, welche politischen Versäumnisse Deutschland und Europa in die gegenwärtige, prekäre Situation haben hineinschlittern lassen. Das dürfte nicht nur die Union freuen, die in den letzten sechzehn Jahren Verantwortung getragen hat, sondern auch den Mann im Kanzleramt. Seine SPD regiert, mit einer kurzen Unterbrechung, bereits seit 1998.
Warum immer gegen Lindner? - ZDF
Zum diesjährigen “Christopher Street Day” wurden wieder vielerorts die Regelbogenflaggen gehisst. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, vor Ministerien oder gar auf dem Reichstag habe ich damit allerdings meine Probleme. Seit Anfang April gibt es jedoch eine Sondergenehmigung für die traditionelle Regenbogenflagge an Bundesbauten. Dem Familienministerium reichte das nicht. Es hisste rechtswidrig die sogenannte “Progress-Regenbogenflagge”, auf der zusätzliche Streifen in unterschiedlichen Farben in Dreiecksform sowie ein Punkt zu sehen sind. Diese soll Trans- und Inter-Personen mit einschließen, damit sich auch wirklich alle mitgemeint fühlen. Das für diese Belange verantwortliche Innenministerium intervenierte zwar, da Verstöße dieser Art allerdings keine Rechtsfolgen nach sich ziehen, wähnte sich das Familienministerium auf der sicheren Seite und gab bekannt, dass es die Flagge nicht entfernen würde. Welch verheerendes Bild abgegeben wird, wenn sich sogar Ministerien mir Rechtsverstößen brüsten, schien dabei zweitrangig zu sein. Wem die Nationalflagge, die alles, was die Regenbogenflagge symbolisiert, bereits beinhaltet, nicht reicht, der sollte sein Demokratieverständnis hinterfragen.
Ijoma Mangold sieht das Hissen der Regenbogenflagge auf dem Reichstag ebenfalls kritisch.
Die Regenbogenfahne symbolisiert ein gutes und wichtiges Anliegen. Aber ist die Reichstagsbeflaggung die richtige Art, sich zu einem guten Anliegen zu bekennen? Die Farben der Republik sind Schwarz, Rot, Gold. So steht es in Artikel 22 Absatz 2 Grundgesetz. Als Hoheitszeichen verkörpert die Deutschlandfahne auf den Türmen des Reichstags diesen Grundgesetzbezug. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner: Auf der Basis dieses inhaltlich minimalen, aber essenziellen, unverhandelbaren Grundkonsenses können die Abgeordneten dann über alles streiten – und die demokratisch unterlegene Minderheit wird die Mehrheitsentscheidungen der anderen Seite mittragen, denn so will es das Grundgesetz.
Hoheitszeichen sind keine Folklore. Sie sollen das Nichtpartikulare der politischen Ordnung zum Ausdruck bringen. Sie sind Form, nicht Inhalt – sonst müsste man sie alle Jahre wieder überarbeiten oder ersetzen, denn die Inhalte wechseln mit dem Zeitenlauf.
Bekenntnisse sind nämlich inflationär und folgen notorisch dem Zeitgeist – das tut überzeitlichen Staatssymbolen nicht gut. Die Abgeordneten sollen im Parlament Gesetze verabschieden, die jeder Minderheit, egal mit welcher Farbe des Regenbogenspektrums sie sich identifiziert, gleiche Rechte garantieren. Aber sie sollen nicht eine Logo-Fahne auf einem Haus hissen, dessen Rang und Würde formale Abstraktion erfordert. Sie sollen auch nicht an Heiligabend ein Banner des Weihnachtsmanns hissen oder, wenn sie gegen Atomkraft abstimmen, eine "Atomkraft? Nein danke"-Fahne. Sonst wird Schwarz-Rot-Gold zu einer von vielen Fahnen, die das Hohe Haus aufzieht, wie es lustig ist. Mal diese, mal jene – je nachdem, was ihm gerade unter den Nägeln brennt. Irgendwann sieht dann der Reichstag so aus wie die Autokarosserien in den Achtzigerjahren, auf deren Kofferraumbereich es vor politischen Bekenntnisaufklebern nur so wimmelte.
Alexander Kissler beschäftigt sich in einem Text mit dem Zeitgeist und dem Umbau der Gesellschaft, welchen ich zur Lektüre empfehle. Er greift einige Punkte auf, die auch ich als hochproblematisch empfinde.
Rund vierzig Jahre später stellt abermals die Sozialdemokratie den Kanzler, doch es wäre falsch, den fortgesetzten politischen Abschied Deutschlands vom Bürgertum allein der SPD anzulasten. Durch ihre breite Verankerung in den Ländern kann sie nie ganz zur antibürgerlichen Partei werden. In den Funktionärsetagen von Berlin dominiert jedoch eine linke Identitätspolitik, die die Gesellschaft in Kleingruppen anspruchsberechtigter und fürsorgebedürftiger Opfer unterteilt. Insofern sind die Widerstände der SPD gegen eine unbürgerliche Politik gegenwärtig gering.
Davon abgesehen aber stösst die FDP ihre bürgerliche Klientel geradezu lustvoll vor den Kopf. Weder die Absicht der «Ampel», dass man künftig das eigene Geschlecht per Sprechakt auf dem Standesamt bestimmen darf, noch die geplante Aufweichung der Ehe durch die personenreiche «Verantwortungsgemeinschaft» oder die Wahl der linken Aktivistin Ferda Ataman zur Antidiskriminierungsbeauftragten lassen sich einem bürgerlichen Publikum als Modernisierungsgewinne verkaufen.
Hier zeigt sich die Entkoppelung von Wählerschaft und linksliberalen Kadern, verschärft durch die Machtarithmetik einer Drei-Parteien-Koalition mit zwei linken Partnern. Die Grünen nämlich sind, obwohl sie über eine überdurchschnittlich gebildete und vermögende Klientel verfügen, keineswegs zur bürgerlichen Partei mutiert. Darüber entscheiden Haltungen und Handlungen, und praktisch dominiert bei den Grünen bis heute der Wille zum linken Umbau der Gesellschaft.
Wer, irritiert vom wetterwendischen Gebaren der FDP, sich an die Union wendet, kommt vom Regen in die Traufe. Zwar stellte der Parteichef Friedrich Merz einen «klaren Kurs» in Aussicht, und sein Generalsekretär Mario Czaja nennt die CDU das «bürgerliche Gesicht der politischen Mitte». Praktisch indes bleibt es bei durchaus zündenden Oppositionsreden für die Galerie bei gleichzeitiger Kungelei mit dem Zeitgeist. Die CDU gibt sich desto bürgerlicher, je weiter entfernt sie von der Macht ist. Man schaue nur auf Koalitionsvereinbarungen unter schwarzer Federführung, wahre Kapitulationsurkunden des Bürgerlichen.
Bürgerlich ist Gleichberechtigung, nicht die in Berlin, Kiel oder Düsseldorf vorangetriebene Gleichstellung. Bürgerlich ist Pragmatismus, nicht Utopie. Bürgerlich ist freier Wandel, nicht staatlich verordnete Transformation. Bürgerlich ist die liberale Republik, nicht die entgrenzte Öffentlichkeit. Bürgerlich ist Konkurrenz, nicht Egalitarismus, und bürgerlich sind vor allem die Schonräume des Unpolitischen, in denen gedeihen kann, was heute fehlt, bürgerliche Kultur. Sollten zu viele Bürger sich aus der Politik zurückziehen, weil sie ihre Interessen nicht mehr vertreten sehen, verliert die Demokratie an Legitimität.
Bürgerliche Politik müsste dem Aktionismus des Abräumens kluge Vorsicht und selbstbewusste Gestaltungskraft entgegensetzen. Die traditionelle Familie etwa ist kein Beziehungsmodell von gestern, sondern Keimzelle der Republik. Und Wissenschaft braucht Forschungsfreiheit, keine weltanschaulichen Vorgaben. Wer klein beigibt um des Machterhalts oder der Wirkung beim politischen Gegner willen, macht sich kleiner, als er ist. Ein Erfolgsmodell war bürgerliche Politik immer dann, wenn sie mitgestaltete, nicht mitlief.
Hiermit sei noch auf die Crowdfunding- Kampagne von Marie-Luise Vollbrecht hingewiesen. Normalerweise teile ich keine Spendenaufrufe, hier geht es allerdings um das Verhindern großen Unrechts. Eine Gruppe radikaler Ideologen versucht im Moment mit allen Mitteln, die Karriere der Biologie-Doktorandin zu zerstören, weil sie über die wissenschaftliche Tatsache referiert, dass es zwei biologische Geschlechter gibt. Mit den Spendengeldern kann sie sich juristisch wehren.
Rechtshilfe Marie-Luise Vollbrecht - Gofundme
Kultur
Coverversion der Woche: Lola Marsh - Something Stupid
Heute im Jahr 2007 starb Lee Hazlewood. Deshalb habe ich mich für eine Coverversion der von ihm produzierten erfolgreichsten Version des Titels “Something Stupid” entschieden, die von Frank und Nancy Sinatra gesungen wird. Das Stück wurde ursprünglich von Carson Parks im Jahr 1966 komponiert und erschien dann im Februar 1967 nahezu zeitgleich mit der oben genannten Version. Ein Rennen, das Parks nicht gewinnen konnte. Die Coverversion der von mir sehr geschätzten Lola Marsh, die den meisten wahrscheinlich aus der Serie “Better Call Saul” bekannt ist, stammt aus dem Jahr 2018.
Epilog
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