Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #94
Prolog
Diesen Newsletter habe ich vor allem deshalb ins Leben gerufen, weil es es bestimmte Entwicklungen gibt, die ich vor dem Hintergrund des Zusammenhalts und der Bewahrung einer freien Gesellschaft für kontraproduktiv halte. Heute soll Ferda Ataman vom Bundestag zur Antidiskriminierungsbeauftragten gewählt werden. Meine Kritik an dieser Personalie habe ich in der Vergangenheit mehrfach geäußert. Entschiedener publizistischer Widerspruch ist aber inzwischen weltanschauungsübergreifend zu lesen. Neben bürgerlichen-konservativen Medien sehen auch auch des Konservatismus unverdächtige Publikationen, wie der Spiegel, die Zeit, die Süddeutsche Zeitung und die TAZ diese Wahl sehr kritisch. Viele, die Ataman für ungeeignet halten, sind selbst Migranten. Der Versuch der Ataman-Ultras, Kritik als “rechte Kampagne” zu diffamieren, scheitert also.
Ich bin gespannt, wie diese Wahl ausgeht. Heute wird sich außerdem zeigen, ob die FDP, mit deren Überzeugungen das Gebaren der zur Wahl Stehenden unvereinbar ist, für liberale Werte einsteht, oder opportunistisch eine Kandidatin wählt, die nicht nur spalterisch agiert, sondern auch ein nicht zu tolerierendes Verhältnis zu Rassismus, Antisemitismus und Islamismus hat. Damit würde sich die Partei ihr eigenes Grab schaufeln. Vielen reicht es. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Neuen Abonnenten empfehle ich die “About”-Seite. Wer mir in den sozialen Medien folgen möchte, findet Vernetzungsmöglichkeiten auf meiner Website. Bei Twitter kann man zusätzlich die #FreeBlackTwitterGermany-Liste für schwarze Meinungsvielfalt im deutschsprachigen Raum abonnieren.
Nun aber los.
Heute geht es unter anderem um Wissenschaftsfreiheit und Abkehr.
Willkommen im Club!
Wurde Ihnen diese Ausgabe weitergeleitet? Melden Sie sich für “Marcellus Maximus meint.” an, um den wöchentlichen Newsletter und weitere Artikel bequem über Ihr Emailpostfach zu empfangen.
Politik und Gesellschaft
Vergangenes Wochenende sollte die Biologin Marie-Luise Vollbrecht, Doktorandin an der Humboldt-Universität Berlin, an eben dieser im Rahmen der Veranstaltung “Lange Nacht der Wissenschaften” einen Vortrag mit dem Thema “Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt.” halten. Diesen Vortrag versuchten Aktivisten mit der Behauptung, die Vortragende sei “transfeindlich” und ihre Aussagen “unwissenschaftlich” zu verhindern und waren erfolgreich. Die Universität sagte den Vortrag mit dem Verweis auf Sicherheitsbedenken ab. Es ist bereits skurril, dass wissenschaftliche Fakten bestritten werden. Das Problem ist weniger ein Grüppchen Gruppe ideologisch verblendeter Demonstranten, sondern eine Universität, die vor ihnen einknickt, anstatt ohne Wenn und Aber die Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen. Wer Meinungen und Fakten, die nicht in sein Weltbild passen als unerträglich empfindet, ist an einer Hochschule fehl am Platz. Der Vortrag soll nun nachgeholt werden. Denis Yücel hat dazu einen starken Text geschrieben.
„Trans-“ beziehungsweise „Queerfeindlichkeit“ lautet der Vorwurf, den Transgender-Aktivisten gegen Wissenschaftler und Autoren erheben, die darauf bestehen, dass die menschliche Natur nur zwei Geschlechter kenne.
Dabei beteuert sie, dass sie Transsexualität weder verleugne noch verachte, sondern im Gegenteil als Bestätigung ihrer wissenschaftlich fundierten Überzeugung betrachte, dass sich die Menschheit in zwei und nicht in beliebig viele Geschlechter unterscheiden lasse.
Stattdessen haben die Queer Theory und ihr aktivistischer Flügel die erkenntnisfördernde Unterscheidung zwischen biologischem (Sex) und sozialem Geschlecht (Gender) längst hinter sich gelassen und möchten die Kategorie Geschlecht selbst „dekonstruieren“. Daher auch die These, man könne per performativem Akt, also per bloßer Willenserklärung, bestimmen, ob und welchem Geschlecht man angehöre.
Doch jenseits dieser diskursiven Feinheiten und Claims gilt in einer liberalen Gesellschaft: Wer will, kann sich als non-, post-, abinär oder was auch immer bezeichnen und nach eigener Fasson glücklich werden. Den Glauben ans Performative kann man teilen oder nicht. Zu einem relevanten Ärgernis wird er erst, wenn er sich mit der autoritären Geste verbindet.
Universitäten, die dem Prinzip der wissenschaftlichen Erkenntnis verpflichtet sind, müssen zwar nicht jeden Nonsens unter ihrem Dach dulden. Doch in vielen Fragen herrscht weder innerhalb einzelner Disziplinen noch gar unter verschiedenen Disziplinen halb so viel Einigkeit, wie es die beliebte Formel von „der“ Wissenschaft nahelegt – eine Formel übrigens, auf die man sich meist nur dann beruft, wenn es einem gerade in den Kram passt. Und da das, was an Universitäten geforscht und diskutiert wird, früher oder später die ganze Gesellschaft erreicht, gilt das auch für die akademischen Auseinandersetzungen.
Mit Blick auf die alltägliche Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt, die Transsexuelle auch in diesem Land weiterhin erleben, könnte man die Transgender-Aktivisten für Benachteiligte halten, die verzweifelt versuchen, sich Gehör zu verschaffen. Doch mit Blick auf den Diskurs im Kultur-, Medien- und Universitätsbetrieb – oder auch auf das Selbstbestimmungsgesetz, das der Bundestag derzeit diskutiert – könnte man zum gegenteiligen Schluss gelangen: dass die Queer Theory heute eher zum Mainstream gehört als die inkriminierte Position der Biologin.
Das Wort von der Cancel Culture, das vor allem Konservative gerne bemühen, weil sie in ihrem publizistischen Heulsusentum oft Meinungsfreiheit mit Widerspruchsfreiheit verwechseln, wird nicht dadurch vom Kampfwort zur Realität, weil irgendwer immer im Internet oder auf der Straße gegen irgendwas demonstriert. Real wird Cancel Culture durch die Unfähigkeit von Institutionen aller Art, Kritik und Empörung auszuhalten. Dieses Unvermögen zeigen nicht nur öffentliche Einrichtungen wie der WDR, sondern auch private: die „taz“ zum Beispiel – oder zuletzt das Haus, in dem WELT erscheint. (Nein, die angemessene Reaktion auf einen meinetwegen „unterirdischen“, aber gewiss zulässigen Gastbeitrag sind keine Distanzierungsbriefe des Vorstandschefs.)
Kurz: Die Absage des Vortrags von Marie-Luise Vollbrecht durch die Leitung der Humboldt-Universität ist erbärmlich feige und die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit inakzeptabel. Selbstverständlich wäre es genauso inakzeptabel, wenn eine Universität unter anderen Vorzeichen den Vortrag einer Genderforscherin zum Thema „Konstruktion von Geschlechtern“ abgesagt hätte. Muss man das eigens betonen? Besser ja.
Woher die aggressive Unerbittlichkeit der Transgender-Aktivisten rührt - Welt
Die “Zeit” hat Marie-Luise Vollbrecht Platz für einen Gastbeitrag eingeräumt, den ich zur Lektüre empfehle.
Der Vortrag, den ich nicht halten konnte - Zeit
Den abgesagten Vortrag konnte sie bereits am Wochenende über Youtube halten und hat damit wahrscheinlich um ein Vielfaches mehr Menschen erreicht, als wenn sie offline gesprochen hätte. Man erlebt hier eine sympathische, sachliche Frau und mitnichten eine verbissene Ideologin, als die sie die Aktivisten darstellen möchten.
Die kluge Jagoda Marinic hat einen Artikel darüber geschrieben, warum sie nicht mehr “woke” ist. In diesem Text finde ich mich an vielen Stellen wieder. Auch ich wurde schon von anderen Dunkelhäutigen beschimpft und ausgegrenzt, weil ich bestimmte Prämissen in der Rassismusdebatte für falsch halte und mich nicht als Opfer sehe,
Wir stehen in Deutschland an einer Wegscheide: Wie wollen wir in einer pluralistischen Demokratie für Minderheitenrechte streiten? Reden wir derzeit tatsächlich über die wichtigsten Themen, die das Zusammenleben in den Mittelpunkt stellen? Oder dienen viele Debatten auch der Selbstprofilierung eines bestimmten Milieus?
Serpil Temiz Unvar, die Mutter des in Hanau ermordeten Ferhat Unvar, erzählte mir: "Es scheint für manche in Deutschland leichter zu sein, den strukturellen Rassismus in den USA anzuprangern, als wahrzunehmen, was hier in Deutschland geschieht." Während Black Lives Matter auch in der Pandemie Demonstrationen durchführen durfte, mussten die Hinterbliebenen in Hanau am Gedenktag ihre Demonstration unterlassen, ihr Erinnern wurde reglementiert.
So entsteht eine Opferkonkurrenz, die Deutschland auf Dauer schaden wird. Eine, die wächst, weil die Superwoken und Linksliberalen eine merkwürdige Allianz bilden. Letztere ziehen es oft vor, die akademischen und hippen Thesen einer bestimmten Gruppe für die zehn Gebote aller Minderheiten zu halten. Sie übersehen dabei eine Vielzahl der Minderheiten: die Unhippen, die Ärmeren, die Älteren.
Einige Vertreter der lauten Minderheiten wollen uns in Talkshows lehren, wie wir uns gegenüber Minderheiten allgemein zu verhalten hätten. Ihre Perspektive wird medial extrem verstärkt: Die Wütendsten, die aus ihrer Empörung die beste Show machen, bittet man vor die Kameras, weil sie auf Twitter und Instagram gut gebrüllt haben. Dadurch entsteht das Bild einer vermeintlich einheitlichen Gruppe, die Regeln für alle setzt und genau zu wissen meint, wer von Rassismus betroffen ist und wie.
Schwarze Deutsche, die bereits in der vierten Generation in Deutschland sind, erleben diese Frage als rassistisch. Doch es gibt Einwanderer und Geflüchtete der letzten Jahre und Jahrzehnte, die gefragt werden möchten. Sie leiden darunter, dass ihre Geschichte eine Leerstelle sein soll, auf die sie nicht mehr angesprochen werden.
Am zweiten Tag der Empörungswelle machte ich mit zwei Tweets darauf aufmerksam, dass die vermeintlich rassistische Frage nicht für alle Minderheiten gleich klinge. Manche möchten gefragt werden, andere nicht. Alle Gruppen haben berechtige Gründe für ihre Haltung.
Manche sahen in mir daraufhin eine Abtrünnige, die Rassismus verharmlost. Ich hätte, forderten sie mich auf, Solidarität zu leisten und nicht den Weißen nach dem Mund zu reden. Ich sei ein "Token", eine Frau mit Migrationsgeschichte, die von Weißen benutzt wird, ja sich benutzen lässt, zum eigenen Vorteil. Zumal ich, meiner hellen Haut und Haare wegen, sicherlich nie wirklich Rassismus erfahren hätte. Eine Diskussion, in der die Haarfarbe über Glaubwürdigkeit entscheiden soll, ist an ihrem Nullpunkt angekommen. Soll ich das nächste Mal meiner Friseurin für das Wasserstoffperoxid danken? Die Meinung des Taxifahrers, den Heidenreich erwähnte, interessierte übrigens niemanden, erst recht nicht die woken Aktivisten.
Einige der radikalen Aktivisten behaupten, in Deutschland habe sich in Sachen struktureller Rassismus nichts getan. Doch es hat sich etwas getan, das wird jeder Migrationsforscher bestätigen: Das Blutrecht wurde abgeschafft. Millionen Menschen werden nicht mehr ausgegrenzt durch das Staatsbürgerschaftsrecht. Das aber passt nicht in die Blase der Woken. Und so feiert man lieber gar keine Erfolge als die Erfolge mancher. Doch wer Erfolge nicht gemeinsam feiert, vergibt sich die Chance, Gemeinschaft zu stiften. Ist diese überhaupt erwünscht? Oder nur zu bestimmten Bedingungen?
Der Kampf, wie er derzeit geführt wird, verbessert die Lage der Minderheiten aber kaum. Barack Obama wies bei einer Podiumsdiskussion 2019 auf diese paradoxe Situation hin. Angesprochen auf die Tendenz zum "Outcalling", zum Anprangern in der Öffentlichkeit, sagte er, das Verhalten sei an Universitäten besonders verbreitet. Manche, so Obama, verwechselten ihre grelle Empörung mit Aktivismus. Sie träten einen Shitstorm los, weil jemand ein falsches Wort verwendet habe, nicht auf der Höhe der Zeit sei, und schon sei dieser Mensch ein Sexist, ein Rassist, ein Menschenfeind. Obama sagte, das verändere aber die Gesellschaft nicht, sondern diene bloß dem Wohlgefühl jener, die anprangerten.
Sag das nicht! Warum ich mich nicht mehr zu denen zähle, die sich "woke" nennen - Stern
Kultur
Coverversion der Woche: Paolo Nutini - Nothing To Be Done
Das Original ist auf “Sittin’ Pretty”, dem zweiten Album der Pastels von 1989 und gehört zu meinen Allzeit-Lieblingssongs. Die Coverversion von Paolo Nutini trifft perfekt die Stimmung des Stücks.
Epilog
Wenn Ihnen diese Ausgabe gefallen hat, leiten Sie sie gern an Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder weiter. Vielen Dank im Voraus!