Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #90
Prolog
Nachdem ich in letzter Zeit wieder vermehrt bizarr-identitäre Kommentare zum Thema Rassismus auf Twitter gelesen habe, hatte ich das Bedürfnis mich auch mal wieder dazu zu positionieren. Meine dunkle Hautfarbe war nie ein relevanter Teil meiner Identität und wird es auch weiterhin nicht sein. Unzutreffenden Behauptungen, Rassismus gegen Weiße sei nicht existent oder es gebe in Deutschland strukturellen Rassismus, werde ich allerdings immer entschieden widersprechen.
Nicht unbedingt eine kontroverse Meinung. Aber in den sozialen Medien wird das anders gesehen. Und so waren die Reaktionen dann auch nicht überraschend. Ich las nicht zum ersten Mal, dass wer so denke wie ich, entweder gar nicht dunkelhäutig, dumm oder geisteskrank sei. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Manche Menschen sind so ideologisiert, dass sie nicht einmal die Möglichkeit der Existenz anderer fundierter Ansichten in Betracht ziehen.
Stirnrunzeln löste die Nachricht aus, dass die FDP einen Gesetzesentwurf mitträgt, der beinhaltet, dass die CO2-Kosten künftig zwischen Mietern und Vermietern aufgeteilt werden sollen. Im jetzigen Zustand ist die Partei meiner Meinung nach eine Katastrophe. Leider sehe ich niemanden, der daran etwas ändern könnte oder wollte. Tragisch, denn sie ist die einzige Partei in Deutschland, die zumindest vorgibt, den Liberalismus zu vertreten.
Was bei der “Zeit” los ist, fragte ich mich in letzter Zeit wiederholt. Zuerst wurde in einem Artikel recht durchsichtig versucht, Wandern mit Rechtsextremismus in Verbindung zu bringen. Nun liest man, es sei "Anmaßung", ein ausländisches nicht nur nachzukochen, sondern auch zu verbessern. Will die Zeitung ihre eigene Zielgruppe vergraulen?
In Berlin ist alles beim Alten. Ein Berliner Gesundheitsamt outete aus Versehen bis zu 150 Teilnehmer einer homosexuellen Beischlafveranstaltung. Dem Amt passierte der Klassiker unter den Datenschutzpannen: Es sendete bei der Warnung vor einem Corona-Fall die Mailadressen in Kopie an alle. Neuland Internet. Einmal mit Profis.
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Nun aber los.
Heute geht es unter anderem um Wahlpannen, Richtungsentscheidungen und Transformation.
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Politik und Gesellschaft
Berlin hat bei der Organisation der Bundestagswahl kläglich versagt. Die Pannen sind nicht mehr zu vertuschen. Nun untersucht ein Ausschuss, ob sie vielleicht wiederholt werden muss. Fatina Keilani hat sich näher mit dem Thema beschäftigt.
Es gab in manchen Wahllokalen nicht genug Stimmzettel, in anderen die falschen, manche Lokale schlossen vorübergehend und schickten die Wähler weg, in wieder anderen gab es stundenlange Wartezeiten, oder es wurde abends noch bis 21 Uhr gewählt, obwohl schon ab 18 Uhr die Hochrechnungen im Fernsehen zu sehen waren – weswegen üblicherweise die Wahllokale um 18 Uhr schliessen.
Gegen die Wahl hagelte es 2117 Einsprüche von Bürgern, und auch der Bundeswahlleiter legte Einspruch zur Anfechtung der Wahl ein – ein Novum in der bundesrepublikanischen Geschichte. Am Dienstag befasste sich nun der Wahlprüfungsausschuss des Parlaments mit dem verkorksten Urnengang. Leider sind nun schon mehr als sechs Monate vergangen, so dass im Falle einer teilweisen Wiederholung der Wahl wahrscheinlich nicht mehr die alten Wählerverzeichnisse verwendet werden dürften. Vielleicht sind aber inzwischen Personen gestorben oder umgezogen oder volljährig geworden, das könnte Verfälschungen mit sich bringen – nur einer von vielen Aspekten.
Berlin hatte sich viel aufgehalst: Nicht nur waren Wahlen zum Bundestag, zum Landesparlament und zu den Verordnetenversammlungen aller zwölf Bezirke, sondern zusätzlich gab es auch noch einen Volksentscheid über die Enteignung von Wohnungskonzernen, und es fand der Berlin-Marathon statt, was zu umfangreichen Verkehrsbehinderungen führte. Wahlhelfer blieben im Stau stecken, als sie Nachschub holen wollten, und die Papiere, auf denen der Bürger sein wichtigstes Recht ausübt, erwiesen sich ihrerseits als gewichtig: Ein Satz Stimmzettel wiegt 32 Gramm. Wer also zehn Kilo trug, brachte doch nur 300 Stimmzettel an. Es reichte nicht.
Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein möchte lieber mit den Grünen koalieren, als mit der FDP, obwohl beides möglich wäre. Damit hat er sich für eine Richtung entschieden. Jasper von Altenbockum kommentiert.
Die CDU trifft damit eine Richtungsentscheidung, auch wenn sie demnächst sicher heruntergespielt wird: Kiel ist nicht die Republik. Aber die Bewegung der Partei ist auch im Bund nicht so, dass man sagen könnte, Kiel falle aus dem Rahmen. CDU/CSU machen in Berlin nicht vergessen, dass die FDP als soziale und marktwirtschaftliche Ordnungsmacht ausfällt.
Die Liberalen sind derzeit ebenso verzaubert wie die Union, die Grünen wirken unwiderstehlich. So fällt ein Stein nach dem anderen: in der Arbeitslosenversicherung, beim Mindestlohn, in der Rentenpolitik (sofern vorhanden), beim Schuldenmachen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass CDU und Grüne nun sogar in der Sicherheitspolitik oft Seite an Seite stehen.
Das muss kein schlechter Ratgeber sein. Es setzt die CDU aber der Gefahr aus, die auch der FDP droht. Viele Wähler werden nicht mehr wissen, wen sie da eigentlich gewählt haben. Und vor allem: für was.
Lieber die Grünen als die FDP - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Auch meiner Meinung nach treibt die Ampelkoalition Vorhaben voran, die den Umbau der Gesellschaft zum Ziel haben. Dass das keine Verschwörungstheorie ist, zeigt Alexander Kissler in einem sehr guten Text auf.
Jeder Plan trägt den Keim des Scheiterns in sich, und nicht alle Gesetze ändern die Wirklichkeit. Niemand aber kann den drei Regierungsparteien ihren Willen absprechen, die Gesellschaft grundlegend umzugestalten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD etwa fordert und fördert eine «Demokratieerziehung».
So stellt sie den Deutschen ein bedenkliches Zeugnis aus. Ganz offensichtlich sind ihre Landsleute knapp 80 Jahre nach Kriegsende und 33 Jahre nach dem Mauerfall immer noch nicht (oder nicht mehr) ordentliche Demokraten. Wäre dem wirklich so, ganz Europa und die halbe Welt müssten sich sorgen. Womöglich aber ist Faesers Diagnose ein rhetorischer Kniff, damit ihr Lieblingsprojekt, das «Demokratiefördergesetz», die Hürden der Notwendigkeit leichter überspringt.
Bis Ende Jahr soll ein gemeinsam mit dem Familienministerium erarbeiteter Gesetzentwurf vorliegen. Initiativen und Vereine, die bisher auf kurzfristige Projektförderung angewiesen waren, dürfen sich dann auf regelmässige Zahlungen aus dem Staatshaushalt freuen.
Dauerhaft förderungswürdig sind in erster Linie jene identitätspolitischen Player, die Kurse anbieten und Seminare zum «Kampf gegen rechts», gegen den Klimawandel, für Integration und für «Vielfalt». Eine Extremismusformel, mit der die Initiativen jeder extremistischen Versuchung abschwören müssten, lehnen Paus und Faeser ausdrücklich ab.
Die «engagierte Zivilgesellschaft» soll sich gegen Rassisten und Extremisten jeglicher Couleur wenden, wenngleich deren rechtsextreme Ausprägung sehr oft erwähnt wird und die islamistische Form fast nie. Befremdlich stimmt auch, dass Faeser «Antisemiten und Antifeministen» in einem Atemzug nennt. Offenbar hält die SPD-Politikerin den Hass auf Juden und die Ablehnung des Feminismus unter «überzeugten Demokraten» für gleichermassen verabscheuungswürdig.
Heimat, sagt die Ministerin, «sind alle Menschen, egal, wo sie herkommen». Deshalb «müssen wir den Begriff Heimat positiv umdeuten und so definieren, dass er offen und vielfältig ist. Und dass er ausdrückt, dass Menschen selbst entscheiden können, wie sie leben, glauben und lieben wollen.» Wir lernen: Die Heimatministerin hält Heimat für einen negativen Begriff, der staatlicherseits umgedeutet werden muss. Sie verlangt dem Kollektiv eine Arbeit am Begriff ab, um anschliessend generös Individualität zuzuteilen.
Mit 14 Jahren, weiterhin also im minderjährigen Alter, soll dann jeder Jugendliche auf dem Standesamt frei entscheiden dürfen, welches Geschlecht er habe. So steht es in zwei im Sommer 2020 gescheiterten Gesetzentwürfen von Grünen und FDP, die nun in das von der «Ampel»-Mehrheit noch vor der parlamentarischen Sommerpause angestrebte «Selbstbestimmungsgesetz» einfliessen.
Abermals feiert der Wille zur Willkür Triumphe, selbst um den Preis, ins Absurde abzubiegen. Diese Meriten erwarb sich der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, der Grünen-Politiker Sven Lehmann, als er kürzlich behauptete, die geschlechtliche Identität könne prinzipiell nicht von aussen begutachtet werden, auch nicht von Ärzten.
An den physischen Grenzen des Landes soll indes dasselbe fluide Prinzip gelten wie an jenen des Körpers: Die Behauptung definiert das Sein. Wer sich beim Asylantrag nicht ausweist, darf seine Nationalität durch eine eidesstattliche Erklärung festlegen. Diese Möglichkeit soll laut Innenministerin Faeser zwar nur eine Ausnahme in Notfällen sein – aber wie will man verhindern, dass die Ausnahme zur Regel wird? Abermals macht Identitätspolitik Identität zur Chimäre.
In einer Rede Ende April verdeutlichte die Aussenministerin den Epochenbruch, den die «Ampel» ins Werk setzen will. «Identität im 21. Jahrhundert», erklärte Annalena Baerbock, bedeute «vor allen Dingen zivilgesellschaftliches Engagement, Eingebundensein in die Gesellschaft». Eine solche Definition bricht mit anthropologischen Gewissheiten und ist mit den Bedingungen eines liberalen Rechtsstaats kaum zu vereinbaren.
Zum Ende der Rubrik wieder Sehens- und Hörenswertes. Ahmad Mansour spricht über Solidarität.
Oft bleiben Solidaritätsaktionen kurzfristige Aktionen, deren Wirkung rasch wieder verpufft. Was aber braucht es, um solidarisches Handeln dauerhaft in einer Gesellschaft zu verankern? Empathie, so Ahmad Mansour, ist der Grundstein einer gesunden Gesellschaft, eines guten Umgangs miteinander und das beste Mittel gegen Hass. Der arabisch-israelische Psychologe und Islamismus-Experte engagiert sich gegen Fundamentalismus und Radikalisierung. Ahmad Mansour ist Geschäftsführer von "MIND prevention", der Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention.
Ahmad Mansour: Was es heißt, solidarisch zu sein - 3sat
Im “WDR 5 Philosophie spezial” macht sich Wolf Lotter über die Wahrnehmung von Unterschieden Gedanken.
Dass wir vor einer gewaltigen Transformation stehen, ist unumstritten, und zwar nicht nur wegen der Klimakrise: Wir stecken mitten in einem Prozess von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Was braucht es, um diese Transformation konstruktiv zu gestalten?
Welche Kraft liegt für Sie in der Wahrnehmung von Unterschieden? - WDR 5
Kultur
Ich habe das Konzert der israelischen Band Lola Marsh besucht und darüber einen Artikel geschrieben.
Lola Marsh am 10.05.2022 im Heimathafen Neukölln/Berlin - The Clubmap
Coverversion der Woche: Gang Starr - Manifest
Weil heute Miles Davis Geburtstag hat, habe ich mich für “Manifest” von Gang Starr entschieden. Er wurde im Jahr 1989 auf dem Album “No More Mr. Nice Guy” veröffentlicht und enthält einen Sample aus “A Night in Tunisia”. Das Original ist von 1961.
Epilog
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