Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #89
Prolog
Nach wie vor ist der Twitter-Kauf von Elon Musk ein heiß diskutiertes Thema. In diesem Zusammenhang liest man häufig die Behauptung, Musk werde im Netzwerk zukünftig auch strafbare Äusserungen zulassen. Seine Stellungnahmen zur Reaktivierung des Accounts von Donald Trump werden gern als vermeintlicher Beleg dafür herangezogen. Was bewusst ignoriert wird ist, dass Musk mehrfach darauf hinwies, dass Meinungsfreiheit für ihn ausschließlich legale Äusserungen beinhalte. Wer damit ein Problem hat, sollte in sich hineinhorchen.
Merkwürdige Argumentation beschränkt sich nicht auf soziale Medien, wie Twitter. Früher machte profundes Fachwissen einen Menschen zum Experten. Heute reicht gute Selbstvermarktung. Jedenfalls bekommt man diesen Eindruck, wenn man sich anschaut, wieviele bezüglich des Themas, zu dem sie sich äußern, nachweislich Ahnungslose in den Medien als Experten präsentiert werden.
Robert Habeck sagte in einer Rede, die Verbraucher in Deutschland müssten sich auf dauerhaft hohe Energiepreise einstellen. Der Staat könne nicht alle Energiepreissteigerungen auffangen, weder für Firmen noch für Verbraucher. Das sei “die bittere und die harte Wahrheit." Der gegen alle Fachempfehlungen durchgedrückte "Atomausstieg" war reiner Populismus. Jetzt könnte man über AKW-Laufzeitverlängerungen Firmen und Privathaushalte entlasten, doch Ideologie geht bei den Grünen immer noch vor. Die teuerste Kugel Eis aller Zeiten. Das ist "die bittere und die harte Wahrheit."
Stark in der Kritik stand die Ukraine-Reise von Friedrich Merz. Schon vorher wurden die Reisen ins Kriegsgebiet anderer Politiker teilweise als “Kriegstourismus” diffamiert. Hierbei handelt es sich um das Bellen getroffener Hunde. Diese Politiker tun das, was Olaf Scholz schon längst hätte tun müssen und die Kritiker wissen das auch.
Zur “Klimastiftung” von Manuela Schwesig kommen immer bestürzendere Dinge ans Licht. Andere Politiker sind schon wegen deutlich weniger zurückgetreten. Ein Rücktritt erfolgt spätestens dann, wenn die betreffende Person den Rückhalt innerhalb der Partei verliert. Dass Schwesig diesen, trotz aller bekannter Fakten, dort noch zu genießen scheint, spricht Bände über die SPD.
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Nun aber los.
Heute geht es unter anderem um eine Statistik, Verbotserotik und Identität.
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Politik und Gesellschaft
Vorgestern wurde die neue Statistik des Bundeskriminalamts zu politisch motivierter Kriminalität vorgestellt. Auch in diesem Jahr ist die offizielle Kommunikation sowie die Art und Weise interessant, wie in den Medien darüber berichtet wird. In der Statistik mit dem Titel "Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2021" wird zum Beispiel zutreffend darauf hingewiesen, dass die Zahl rechter Straftaten höher war, als die linker. Daraus wird in der öffentlichen Darstellung abgeleitet, die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland drohe von Rechts. Ist das wirklich so?
Über die Hälfte rechter Straftaten sind Propagandadelikte (Das Verbreiten von Propagandamitteln oder Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.). Zieht man jeweils die Propagandadelikte ab, waren es weniger rechte (9.709) als linke (9.987) Straftaten. Um Gefahrenpotential einzuschätzen, ist eine Gegenüberstellung der politisch motivierten Gewalttaten sinnvoll. Im Jahr 2021 gab es mehr linke (1.203) als rechte (1.042) Gewalttaten. Nicht zum ersten Mal: seit zehn Jahren überwiegen linke Gewalttaten zahlenmäßig. Auch bei den extremistischen Gewalttaten liegt die Zahl links (987) über der rechts (945). Ebenfalls nicht zum ersten Mal.
Zusätzlich sei darauf hingewiesen, dass die Mehrzahl der Straftaten mit Terrorismusqualität auf den Phänomenbereich “PMK -religiöse Ideologie-” entfällt. Es gibt in Deutschland eine anhaltend hohe Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus.
Rechtsextremismus ist ein ernstes Problem und muss entschieden bekämpft werden. Die Behauptung, er sei die größte Gefahr in Deutschland, ist vor dem Hintergrund der vorliegenden Zahlen allerdings nicht haltbar. Dieser kreative Umgang mit Fakten, die nicht ins Weltbild passen, befremdet. Demokraten lehnen jede Form von Extremismus gleichermaßen ab.
Patrick Bahners hat sich anhand dreier Bücher in einem lesenswerten Artikel mit dem Transaktivismus und der Kritik daran auseinandergesetzt.
Heute kann man über ganz andere Wunder der bürokratisierten Gesundheitsvorsorge staunen, wenn man etwa einen Artikel beim Wort nimmt, den die „New York Times“ vor einem Jahr unter der Überschrift „Was sind Pubertätsblocker?“ veröffentlichte.
Um die Wirkungsweise der Medikamente zu erklären, erläutert der Artikel, was die beiden Hormone bewirken, deren Produktion im Körper von den Spritzen oder Implantaten blockiert wird. „In Menschen, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wird, bringen diese Hormone die Eierstöcke dazu, Östrogen herzustellen, das Prozesse wie das Wachsen der Brüste und die Menstruation anregt. In Menschen, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wird, bringen sie die Hoden dazu, Testosteron herzustellen, das Prozesse wie das Wachsen der Gesichtsbehaarung und das Tieferwerden der Stimme anregt.“
Nähme man diese beiden Sätze wörtlich, dann schrieben sie einer bürokratischen Prozedur auf den Geburtsstationen mirakulöse Wirkungen zu. Der Geschlechtseintrag wäre dafür verantwortlich, dass der einen Hälfte der Menschen Brüste und der anderen Bärte wachsen. So, wie sie dastehen, stimmen die Sätze nicht.
Nun ist ihr Artikel als informatives Erklärstück durchaus harmlos im besten Sinne des Neutralitätsideals der amerikanischen Presseethik und eigentlich nicht missverständlich. Es ist einfach üblich geworden, die Ausdrücke „people assigned female at birth“ und „people assigned male at birth“ zu verwenden.
Für die britische Philosophin Kathleen Stock zeigt gerade das Konventionelle dieser Austreibung des Natürlichen aus der Sprache die Brisanz des Problems, auf das sie mit ihrem Buch „Material Girls“ aufmerksam machen möchte. Sie hält die Begriffe für sachlich falsch. „In den allermeisten Fällen wird das Geschlecht nicht ‚bei der Geburt zugewiesen‘, sondern festgestellt – zumeist durch Beobachtung bei der Geburt, in seltenen Fällen auch erst später.“ Falsche Begriffe vermitteln falsche Vorstellungen. Menschen kommen nicht männlich oder weiblich zur Welt, sondern ihnen wird ein Geschlecht zugewiesen, beziehungsweise sie werden einem der beiden Geschlechter zugewiesen: An diese Redeweise haben wir uns gewöhnt, jedenfalls in amtlichen und akademischen Texten, und es ist Stocks gut begründete Befürchtung, dass damit ein Wandel der Denkungsart einhergeht.
Der Transaktivismus und seine Alliierten feiern das Paradigma des zugewiesenen Geschlechts, das sich jeder selbst wieder entziehen kann, als Konsequenz eines für Rechtsstaat und Demokratie grundlegenden Antinaturalismus und damit auch als Triumph des Feminismus. Diese erhebende Erzählung hätte mehr für sich, wenn die Begriffsgeschichte hier tatsächlich am Ende wäre. Aber die Ausblendung des Geschlechts als biologischer Tatsache hat eine Kehrseite: Es wird eine „Genderidentität“ postuliert, eine individuelle Wahrheit, von der nur das Individuum etwas wissen kann. Auf die Kritik dieses Begriffs verwendet Stock beträchtlichen Scharfsinn, mit vernichtendem Resultat.
Die Genderidentität wird als Tabu installiert, zu dessen Absicherung die pseudowissenschaftliche Theorie dient, ein Mensch, der sein wahres Geschlecht entdecke, habe dieses sein ganzes Leben lang schon gehabt. Wie hier mit begrifflichen Setzungen eine buchstäblich verkehrte Welt konstruiert wird, bringt Alice Schwarzer im ersten Kapitel des Debattenbuchs auf den Punkt, dass sie gemeinsam mit ihrer „Emma“-Kollegin Chantal Louis herausgegeben hat. „Das würde bedeuten: Das subjektiv empfundene soziale Geschlecht sei quasi angeboren und das biologische Geschlecht müsse ihm angepasst werden. Wie absurd! Das würde ja voraussetzen, dass die sozialen Geschlechterrollen irreversibel sind.“ In einem Artikel in der „Zeit“ im Februar dieses Jahres fügte Schwarzer eine kulturphilosophische Pointe an: „Hier wird Natur mit Kultur verwechselt. Ein quasi magisches Denken.“
Beiden Büchern wird der Vorwurf eines Rückfalls in den anti-feministischen Naturalismus gemacht werden, aber die Autorinnen können ihn mit überzeugenden Gründen zurückweisen. Angesichts des Fortbestands der Geschlechterdiskriminierung muss die erste und letzte Prämisse des Feminismus die Verwerfung des Sein-Sollens-Fehlschlusses sein: Man muss den Tatsachen Rechnung tragen, um sich nicht von ihnen bestimmen zu lassen. Wie Schwarzer schreibt: Sie tritt dafür ein, „dass das biologische Geschlecht zwar existiert, aber keine den Menschen definierende Rolle spielen dürfe“.
Die von Stock propagierte Rückwendung zum Realismus in der Geschlechterdebatte hat neben der ontologischen eine politisch vielleicht noch wichtigere soziologische Seite. Tonangebende Transaktivisten versuchen im Namen unbedingter „Affirmation“ der Geschlechtsidentität elementares psychologisches Wissen aus der Debatte herauszuhalten. So verkündet Sven Lehmann, der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Transsexualität sei kein „Trend“ oder „Modephänomen“. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Sie steigen gewaltig an, und sehr viel mehr Mädchen wollen Jungen werden als umgekehrt. Wer will ernsthaft glauben, „peer pressure“ und Körperbilder aus dem Internet wirkten nie mit, wenn eine Zwölfjährige sich Pubertätsblocker spritzen lassen möchte, und das Mädchen höre bloß auf seine innere Stimme?
Gegen die Rückkehr der Sexualmagie - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die Grünen-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat hat Bemalungen an einigen Fahrgeschäften auf dem Stuttgarter Frühlingsfest kritisiert, die in ihren Augen sexistisch und diskriminierend seien. Haben die 68er dafür gekämpft, dass man 2022 wieder bare Brüste übermalt und satirische Darstellungen skandalisiert? Sollten die Grünen sich darüber beklagen, dass sie als Verbotspartei, die sie faktisch sind, bezeichnet werden? Fragen über Fragen.
Die grüne Stuttgarter Stadträtin Jitka Sklenářová ist zufrieden: Es sei super, dass der Schausteller-Verband ein Treffen mit ihrer Gemeinderats-Fraktion vorgeschlagen habe, sagte sie am Montag dem SWR. Der genaue Tag sei noch offen. Auch Vertreter der Stadtverwaltung sollen demnach dabei sein, darunter auch Fachleute aus der „Abteilung für Chancengleichheit und Diversity“.
Die Stuttgarter Grünen hatten außer Bildern mit den nackten Brüsten noch mehr Motive gefunden, die sie kritisieren. Zum Beispiel das einer jungen Frau, bei der Hintern sehr betont wurde. Durch solche Darstellungen würden Frauen „als verfügbare Ware dargestellt“, kritisiert die Partei.
Die Stadt Stuttgart müsse etwas gegen die Bilder und Statuen unternehmen, fordern die Grünen, denn das Frühlingsfest sei ja eine städtische Veranstaltung. Deshalb müssten die Verträge mit den Schaustellern entsprechend so formuliert werden, dass so etwas in Zukunft nicht mehr vorkomme. Der Antrag der Grünen-Fraktion zu diesem Thema wurde am Freitag im Stuttgarter Gemeinderat eingebracht.
Frühlingsfest in Stuttgart: Diskriminierende Bilder sorgen weiterhin für Aufruhr - SWR3
Wladimir Kaminer und Svenja Flaßpöhler diskutieren über die Lage in der Ukraine und über diesbezügliche offene Briefe, die sie jeweils unterzeichnet haben.
Wie weit darf der Westen bei der Hilfe für die Ukraine gehen? Im »Spitzengespräch« streiten Schriftsteller Wladimir Kaminer und Philosophin Svenja Flaßpöhler über deutschen Sofa-Pazifismus und russische Propaganda.
Die aktuelle Ausgabe der bereits von mir thematisierten Reihe “StreitClub” setzt sich mit Identität auseinander.
Nicole Deitelhoff und Michel Friedman erwarten einen hitzig geführten Streit über das Thema "Identität" mit dem Soziologen Armin Nassehi und dem Politiker und Journalist Roger Köppel.
Sabine Döring spricht mit Michel Friedman im Rahmen der “Auf ein Wort…”-Reihe über Gefühle.
Sind Gefühle grundlegend für die Identität des Menschen? Gehören Emotionen zu unserer biologischen Grundausstattung? Bestimmt die Vernunft das Gefühl, oder das Gefühl die Vernunft?
Auf ein Wort... Gefühle - Deutsche Welle
Der “Tagesspiegel” richtete während der “Woche der Meinungsfreiheit” ein interessantes Gespräch zu genau diesem Thema aus.
Von einer Informationskrise haben wir uns längst angewöhnt zu sprechen, seit die Pandemie viele unserer Gewissheiten durcheinander gerüttelt hat und die Fakten plötzlich mit Meinungen verwechselt wurden. Müssen wir nun von einem Informationskrieg sprechen, wenn plötzlich ein Angriffskrieg nur mehr Spezialoperation heißen darf? Die Wahrheit ist im Krieg das erste Opfer, ist ein beliebter Spruch, aber ist es nicht die Freiheit? Die Freiheit, seine Meinung zu sagen? Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis wieder heraus? Was können Politik, Medien und die Wissenschaft dazu beitragen? Es diskutieren: Die Philosophin und Publizistin Dr. Svenja Flaßpöhler, die Historikerin und Publizistin Irina Scherbakowa, Mitgründerin von Memorial Moskau (zur Zeit Tel Aviv), Klaus Scherer, Autor der ARD-Dokumentation „Hass im Netz“ und des Buches „Kugel ins Hirn“ bei Droemer im Herbst 2022 - sowie Holger Stark, stellvertretender Chefredakteur der ZEIT und Leiter des Investigativ-Ressorts.
Kultur
Coverversion der Woche: R.E.M. - All I Have To Do Is Dream
Der Song wurde 1958 von Boudleaux Bryant, Teil des Songwriter-Ehepaars Felice und Boudleaux Bryant geschrieben. Die bekannteste Version ist die der Everly Brothers. Die Version von R.E.M. ist etwas rauher, aber nicht weniger gefühlvoll als das Original. Aus diesem Grund mag ich beide. Meiner Meinung nach ist dies einer der besten Songs aller Zeiten. Das findet auch das Rolling Stone Magazin, auf dessen Liste der 500 besten Songs aller Zeiten er Platz 141 belegt.
Epilog
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