Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #65
Prolog
Nach Wochen medialer Dauerbeschallung und anstrengenden Verlautbarungen selbsternannter Experten in den sozialen Medien zur Bundestagswahl war eine kleine Auszeit nötig. Das ungünstigste mögliche Ergebnis einer rot-rot-grünen Koalition ist zum Glück nicht eingetreten. Die Optionen “Ampel” und “Jamaika” sind akzeptabel, wobei ich Letztere präferiere, was den geneigten Leser nicht überraschen wird.
Berlin hat indes sein Image als gescheiterter Staat erneut untermauert. Die katastrophalen Fehler bei Planung und Durchführung der Wahl in Kombination mit einer Wiederwahl genau der Parteien, die für dieses Versagen verantwortlich sind und einer Mehrheitsentscheidung für die Enteignung von Wohnungskonzernen bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass dieser Stadt einfach nicht mehr zu helfen ist. Das so bekannte wie abgedroschene, fälschlicherweise Bertolt Brecht zugeschriebene, Zitat erspare ich Ihnen an dieser Stelle.
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Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um Digitalisierung und Verschwörungsmythen.
Willkommen im Club!
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Politik und Gesellschaft
Die Universität Stanford hat zum 75. Jubiläum des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses gegen die Hauptverantwortlichen alle Akten digitalisiert und online verfügbar gemacht. Das Material, welches aus dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag stammt, wurde vom Holocaust-Gedenkmuseum der Vereinigten Staaten in Washington digitalisiert. Stanford hat es über Texterkennung durchsuchbar gemacht und in Kategorien wie Anklagepunkte, Schlussplädoyer, Gnadengesuch oder Zeugenlisten eingeteilt. Die Digitalisierung der 5215 Akten mit insgesamt 270.000 Seiten dauerte 20 Jahre. Zusätzlich enthält das Material restaurierte Audioaufnahmen. Der weitere Plan ist, bis Mitte 2022 weitere 1000 Stunden Audio- und sechs Stunden Filmmaterial zu ergänzen.
Der aufgrund seiner realitätsnahen Schilderungen aus dem Bezirk Neukölln, welche allgemeine kognitive Dissonanz auslösten, in Ungnade gefallene ehemalige Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), hat sich in einem Interview in gewohnt offener Manier geäussert. Zum Wahlsonntag und zu Berlin.
Bei der Wahl ging es drunter und drüber. Es fehlten Stimmzettel, Unterlagen für Bezirke wurden vertauscht, Wähler wieder nach Hause geschickt. Hat Sie das genauso schockiert wie viele andere Berliner?
Na ja, was heißt schockiert? Das ist eben Berlin unter Rot-Rot-Grün. Wer in dieser Stadt lebt, kennt das. Es gibt nur zwei Dinge, die wirklich zählen: Das eine ist Mittelmaß, und das andere ist Selbstherrlichkeit. Bürger oder ähnliche Phänomene sind lästig.
Na ja, so ein Chaos wie am Sonntag ist noch nie passiert.
Nun, bei Wahlen noch nicht. Aber ansonsten schon. Ein Vierteljahr warten auf eine Autozulassung, keinen Termin im Standesamt bekommen zum Heiraten, Investoren vergraulen, Behördenschlampereien als Standard: Das ist für Berliner Alltag. Wenn Sie sich egal wo in Deutschland ein Auto kaufen, gehen Sie zur Behörde – und melden es an.
Und in Berlin?
In Berlin können Sie sich erst einmal um einen Termin bewerben, an dem Sie Ihr Auto zulassen können. Überall Mitbewerber, und funktionieren tut nicht viel. Die Führung der Stadt ist geprägt von Dilettantismus und Egozentrik. Eine Laienspielschau. Ob wir keinen Flughafen bauen oder keine Wahl durchführen können, das ist halt unser Label. Von preußischer Verwaltung verstehen unsere linken Himmelsstürmer nicht viel. Ich glaube, einige können „preußisch“ noch nicht einmal mehr schreiben.
Ach, kommen Sie! Sie sind Berliner mit Leib und Seele. Und der typische Berliner ist nicht froh, wenn er nicht meckern kann. Nervt Sie dieses Berlin-Bashing im Rest der Republik eigentlich gar nicht?
Nee, mir ist es inzwischen fast peinlich, mich als Berliner zu outen. Aber es kommt eben nicht von ungefähr. Wenn Sie sich die Ergebnisse der Neuzeiterrungenschaft Rot-Rot-Grün der letzten Jahre ansehen, bleibt außer Peinlichkeit kaum ein anderes Gefühl. Ein Senat, der einen angehenden Stasi-Major zum Staatssekretär ernennt, hat in der Bundesrepublik ein Alleinstellungsmerkmal.
Am Ende hieß es, die Bezirke seien schuld. Macht sie es sich da nicht ein bisschen leicht?
Für diese Ausrede brauchte sie 24 Stunden. Die kam erst am Montag. Irgendjemand muss ihr den Joker Nr. 1 der Senatsausreden verraten haben. Die General-Entschuldigung in Berlin, wenn der Senat überhaupt nicht mehr weiter weiß, lautet: Die Bezirke sind schuld. So war es schon immer, denn die Bezirke können sich nicht wehren. Das ist zwar Unsinn, aber der Senat behauptet das einfach. Die wahre Geschichte auseinander zu klamüsern, ist für die Medien zu kompliziert. Deshalb bleibt das Image bestehen: Die Bezirke sind blöd.
„Mir ist es fast peinlich, mich als Berliner zu outen” - Cicero
Im Laufe der Coronapandemie ist eine Vielzahl von Verschwörungmythen entstanden. Viele davon beinhalten Behauptungen über Bill Gates. Der SWR hat sich dem Thema bereits 2017 faktenbasiert genähert. So geht seriöser Journalismus. Dass diejenigen, die den Artikel eigentlich lesen sollten, dies nicht tun werden, ist leider auch klar. Menschen mit geschlossenem Weltbild sind kaum noch erreichbar.
Die großen Verdienste der Gates Stiftung sind unbestritten. Problematisch ist, dass Bill Gates durch seine Stiftungen seine Vorstellung von Gesundheitsförderung durchsetzt. So investiert die Gates Stiftung vor allem in technische Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten, zum Beispiel in Impfkampagnen und die Verteilung von Medikamenten. Gesundheitsexperten wie Thomas Gebauer von der Hilfsorganisation Medico International kritisieren, dass dadurch andere wichtige Aufgaben vernachlässigt würden – der Aufbau funktionierender Gesundheitssysteme in armen Ländern zum Beispiel.
Bill Gates erwirtschaftet seine Milliarden durch Kapitalanlagen in bestimmten Industriezweigen. Kritiker bemängeln, dass diese Branchen allesamt etwas mit krankmachenden Bedingungen zu tun haben. So hält die Gates Stiftung Aktien von Coca Cola im Wert von 500 Millionen Dollar und Aktien des weltgrößten Supermarktkonzerns Walmart im Wert von einer Milliarde Dollar. Hinzu kommen Beteiligungen an den Nahrungsmittelkonzernen Pepsi Co, Unilever, Kraft-Heinz, Mondelez und Tyson Foods; an den Alkoholkonzernen Anheuser-Busch und Pernod; an den Pharmakonzernen Glaxo Smith Kline, Novartis, Roche, Sanofi, Gilead und Pfizer.
Die Stiftung hält außerdem Anteile im Wert von fast zwölf Milliarden Dollar am Berkshire Hathaway Trust des Investors Warren Buffett. Der Trust wiederum besitzt Aktien von Coca Cola im Wert von 17 Milliarden Dollar und von Kraft-Heinz im Wert von 29 Milliarden Dollar.
Für die Gates Stiftung bedeutet das: Je mehr Profite die genannten Konzerne machen, desto mehr Geld kann sie für die WHO ausgeben. Für die WHO heißt das wiederrum: Mit jeder Maßnahme gegen gesundheitsschädliche Aktivitäten der Süßgetränke-, Alkohol- und Pharmaindustrie würde die WHO die Gates Stiftung daran hindern, Spenden für die WHO zu erwirtschaften. Kurz, die Weltgesundheitsorganisation steckt in einem klassischen Interessenkonflikt, der sie in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt und der angesichts ihrer finanziellen Abhängigkeit von der Gates Stiftung kaum aufzulösen ist.
Die WHO am Bettelstab: Was gesund ist, bestimmt Bill Gates - SWR
Das digitale Angebot “Funk” des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks für Menschen unter 30, wird fünf Jahre alt. Ich beobachte diese Formate seit ihrer Entstehung mit großer Sorge, denn die dort verbreiteten Inhalte sind oft mehr als fragwürdig. Alexander Kissler sieht das ähnlich.
Bei «Funk» ist die Bundesrepublik ein Land, das von Ängsten und Diskriminierungen zusammengehalten wird, von Rassismus und Umweltverschmutzung. «Funk» zeigt sich als Mischung aus Radio Antifa und verfilmter Sexualkunde. «Funk» führt plastisch vor Augen, welche Verluste drohen, wenn der Bildungs- zum Erziehungsauftrag wird.
Ein besonderes Anliegen ist den Machern der Einsatz für Demokratie, «gesellschaftlichen Zusammenhalt», Diversität und Pluralität. Die «Hosts», die Moderatoren und Darsteller, sollen «so bunt sein wie die Zielgruppe selbst – im Hinblick auf Herkunft, Hautfarbe, Religion oder sexuelle Orientierung». Womit benannt wäre, worauf es ankommt: auf die korrekte identitätspolitische Mischung der Beteiligten. Wer dabei ist, steht immer auch stellvertretend für die Gruppe, der er angehört. Das Individuum ist die abgeleitete Funktion eines kollektiven Bewusstseins.
Kultur
Coverversion der Woche: Carter The Unstoppable Sex Machine - Rent
Heute hat Chris Lowe von den Pet Shop Boys Geburtstag. Die Band, deren Sinn für Melodien und die sarkastische Texte, die perfekte Popsongs ergaben und mich sofort faszinierte, war für meine musikalische Sozialisation nicht unwichtig. Das trifft auch auf Carter The Unstoppable Sex Machine zu, die ich Anfang der 90er Jahre kennenlernte. Die anarchische Herangehensweise von Carter USM (wie sie auch genannt wurden) mit diesen Dingen gefiel mir nicht minder. Das Original ist von 1987, die Coverversion von 1990.
Epilog
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