Marcellus Maximus meint. - Ausgabe #55
Dies ist die fünfundfünfzigste, also eine Schnapszahlausgabe. Die Tageszeit passt allerdings nicht zum Genuß geistiger Getränke und ausserdem plagen mich verspannungsbedingte Kopfschmerzen.
Zu diesen Kopfschmerzen trägt auch das Gebaren einer Splittergruppe innerhalb der liberalen Partei in den sozialen Medien bei. Deren Mitglieder fallen dort durch das Vertreten meiner Ansicht nach illiberaler sowie sozialdemokratischer oder grüner Positionen auf.
Einer der Gründer tut sich damit hervor, dass er Scripte erstellt, anhand derer er Listen von Twitternutzern erstellt, mit denen meiner Meinung nach politische Gegner, aber auch Andersdenkende in der eigenen Partei diskreditiert werden sollen. Sein neuestes Vorhaben ist die Analyse aller Tweets zum Thema “Baerbock”. Sein erstes Fazit ist, dass das Twitterverhalten einiger Nutzer “pathologisch” sei. Das ist sogar ganz bestimmt so.
Er würde befremdliches Twitterverhalten auch in vielen anderen Bereichen finden. Da schaut er aber nicht. Seine "Analysen" gehen allesamt in eine Richtung. Das kann er natürlich so machen, seriös ist es aber nicht. Was mir in Dialogen mit den Protagonisten ebenfalls aufgefallen ist, dass einige rhetorisch geschult zu sein scheinen. Auf Kritik wird nie wirklich eingegangen, jeder tatsächliche Austausch verhindert. An wirklichem Dialog scheint kein Interesse zu bestehen. Der andere Gründer hat mich nach sachlicher Kritik blockiert. Sehr liberal.
Liberalismus-Debatten in den sozialen Medien kranken zudem am fehlenden theoretischen Rüstzeug reichweitenstarker Nutzer. Da ist kein tiefes Verständnis bzgl. des Themas, auf dessen Basis eine qualifizierte Meinung entstehen könnte. Oft gibt es eine riesige Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Die liberale Partei hat im Moment ein Problem mit Vereinnahmungsversuchen sowohl von Links als auch von Rechts. Zudem ist die Aussenwirkung in den sozialen Medien verheerend. Seien es nun Lautsprecher, deren Ausdrucksweise und Positionen kaum von der AfD zu unterscheiden ist, als auch selbstbewusste Nutzer, die unkritisch alles progressiv-zeitgeistige umarmen und als liberal zu rahmen versuchen.
Neuen Abonnenten empfehle ich die “About”-Seite. Wer mir in den sozialen Medien folgen möchte, findet Vernetzungsmöglichkeiten auf meiner Website. Bei Twitter kann man zusätzlich die #FreeBlackTwitterGermany-Liste für schwarze Meinungsvielfalt im deutschsprachigen Raum abonnieren.
Nun aber los.
Heute geht es unter Anderem um die Grünen, Wertbeständigkeit und selektive Solidarität.
Willkommen im Club!
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Politik und Gesellschaft
Ich hatte hier bereits erwähnt, dass in der Plagiatsaffäre um Annalena Baerbock verstärkt der Versuch unternommen wird, die berechtigte Kritik als “rechte Kampagne” darzustellen und den nach Plagiaten suchenden Stefan Weber in Mißkredit zu bringen. Abgesehen davon, dass die Grünen ihn in der Vergangenheit selbst beauftragt haben, sind es nicht nur “rechte” Medien, die berichten. Sogar die linke “TAZ” findet, dass es nun genug sei. Ich stelle mir Robert Habeck gern als den deutschen Frank Underwood mit einer teuflischen Strategie vor, der am Ende als strahlender Sieger aus dem nur scheinbar verlorenen Machtkampf hervorgeht.
Baerbock ist an ihrem eigenen Ehrgeiz gescheitert. Die Umfragewerte sind im freien Fall. Wenn es in diesem Tempo weiter abwärts geht, dann landen die Grünen dort, wo sie auch 2017 waren: bei knapp neun Prozent. Nicht nur für die Partei wären die Arbeit und die inhaltliche Neuaufstellung der letzten drei Jahre dann umsonst gewesen, denn nach einer Regierungsbeteiligung sähe es bei schlechten Ergebnissen nicht mehr aus. Vor allem für das Klima wäre es katastrophal, denn jedes Jahr zählt jetzt dreifach.
Wenn Baerbock also etwas am Klima und der Zukunft der kommenden Generationen liegt, dann sollte sie ihre Kandidatur so schnell wie möglich an Habeck abgeben. Sieht sie es nicht ein, dann liegt es jetzt bei den einflussreichen Parteigranden ihr klarzumachen: Es ist vorbei, Annalena! Vielleicht wäre sie eine gute Kanzlerin geworden, doch dafür müsste sie zuerst ein hohes Ergebnis für ihre Partei erreichen. Sie kann diese Wahlen nicht mehr gewinnen, dazu ist ihre Glaubwürdigkeit zu stark beschädigt.
Habeck hat alles, woran es bei Baerbock mangelt. Er hat Wahlen gewonnen, bringt Regierungserfahrung mit, kann frei und ohne ständige Versprecher reden und hat auch noch seine Bücher selbst geschrieben. Vor allem aber verfügt er über das wichtigste Gut bei einer Wahl: Glaubwürdigkeit. Aus feministischer Sicht ist es bedauerlich, dass Baerbock gescheitert ist. Für die Sache der Frauen bedeutet es einen Rückschlag.
Es ist vorbei, Baerbock! - TAZ
Ein weiteres Problem der Grünen ist ihre Doppelmoral. Noch bei Guttenberg gehörten sie bezüglich Unwahrheiten und Plagiaten zu den schärfsten Kritikern. Nun beschweren sie sich, dass diese von ihnen damals eingeforderten Maßstäbe auch an sie selbst angelegt werden.
Vor zehn Jahren haben die Grünen die Dringlichkeit einer Debatte über mutmaßliche Plagiate in Texten des politischen Spitzenpersonals noch ganz anders beurteilt. Sie konnten sie nicht intensiv genug führen.
Die öffentliche Diskussion über die Arbeitsweise Guttenbergs, dem rasch weit mehr Plagiate nachgewiesen wurden, war den Grünen damals so wichtig, dass sie für die Regierungsbefragung eigens zwei „Dringlichkeitsfragen“ einreichten. Ansonsten geht es in der Fragestunde des Bundestags übrigens eher um Sachthemen.
Während die Grünen heute einen sanfteren Umgang mit ihrer Kandidatin fordern, haben sie Karl-Theodor zu Guttenberg seinerzeit besonders heftig angegriffen. Plenarprotokoll 17/92 offenbart nicht nur, wie unbarmherzig damalige Redner der Grünen gegen den ungeschickt agierenden Guttenberg zu Felde zogen. Die Akten dokumentieren auch, dass die Grünen den unversöhnlichen Umgang mit mutmaßlichen Plagiatoren in der Politik mit kultiviert haben – eine politische Tradition im Umgang mit solchen Fällen gab es bis dahin nicht.
Gewiss haben die genauen Verfehlungen eine jeweils eigene Qualität. Doch gemein ist Guttenberg und Baerbock, dass ihr jeweiliger Umgang mit den Angriffen mindestens als ungeschickt gelten kann. Im Februar 2011 waren es ausgerechnet die Grünen, die Guttenbergs argumentative Schwäche am geschicktesten für teils persönliche Attacken ausnutzten.
Die Abgeordnete Krista Sager nannte Guttenberg einen „Lügner und Betrüger“. Dieser wolle die Menschen „für dumm verkaufen“. Vor allem aber sprach sie dem Plagiator die Eigenschaft ab, Minister sein zu können - eine Botschaft, die sich vor allem in Hinblick auf eine mögliche spätere Ministerin Baerbock noch als heikel erweisen könnte. „Wenn in einem bürgerlichen Kabinett ein Minister sitzen würde, der überführt worden wäre, sich an fremdem Eigentum vergangen zu haben“, fragte Sager damals im Bundestag, „glauben Sie, das würde ein bürgerliches Kabinett einfach so aussitzen?“
Bei Guttenberg kannten die Grünen kein Pardon - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zum Thema Doppelmoral passt auch der nächste Vorfall. Die Gruppe “Alerta Feminista” stürmte die Räume der österreichischen Plattform “oe24” und ging Mitarbeiter tätlich an. Noch vor wenigen Tagen wurden zu Recht problematische Äusserungen von Hans-Georg Maaßen im Hinblick auf die Pressefreiheit kritisiert. Nun stürmen Linksextreme ein Verlagshaus und genau die Leute, die sich eben noch über Maaßen empört haben, schweigen.
Bei dem Überfall auf das Verkaufsbüro von oe24 wurden von den vermummten Anarchos mehrere weibliche oe24-Mitarbeiterinnen persönlich und körperlich attackiert, Verletzte gab es keine.
Auch Innenminister Karl Nehammer zeigte sich bestürzt: "Der Schutz der Grund- und Freiheitsrechte ist eine der wichtigsten Aufgaben der Polizei. Damit ist die freie Berichterstattung der Presse untrennbar verbunden und dazu stehen wir."
Inzwischen ermittelt auch das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) wegen politischen Hintergrunds.
Linksextreme Anarchos wollten oe24-Verkaufsbüro stürmen - oe24
Die “Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland Bund” begrüßt, dass die Verkehrsgesellschaften in Berlin und München in Zukunft auf den Begriff “Schwarzfahren” verzichten wollen. Im ersten Moment dachte ich, das müsse ein Scherz sein, denn mit Rassismus hat der Begriff nichts zu tun. Er ist unter anderem vom jiddischen "Shvarts" ( "arm") abgeleitet. Fassungslos ließ mich dann die Aussage zurück, dass dies der Lobbygruppe sehr wohl bewusst sei. Es zählen also wieder einmal keine Fakten, sondern nur Befindlichkeiten. Ein unterirdisches Niveau, bei dem es um nichts anderes als um Deutungshoheit, also letztendlich Macht, geht.
ISD-Sprecher Della sagte, es sei bei vielen Begriffen so, dass diese ursprünglich anders angelegt waren. Sprache verändere sich aber. "Auch wenn Schwarzfahren überhaupt nicht rassistisch angelegt war, ist trotzdem die Wirkung bei Betroffenen, dass schwarz für etwas Negatives steht, für Kriminalität etwa oder Illegalität." Deshalb sei es sinnvoll, den Begriff nicht mehr zu nutzen.
Initiative Schwarzer Menschen begrüßt Verzicht auf Begriff "Schwarzfahren" - N-TV
Michèle Binswanger hat ein sehr interessantes Interview mit Stefan Aust geführt.
Im heutigen Journalismus wollen viele Leute nicht mehr sagen, was ist, sondern was sein sollte. Ich habe mich nie als Aktivist gesehen, sondern als Journalist, der mit kritischem Blick, aber so neutral wie möglich auf die Umwelt blickt.
Heute laufen viele der scheinbar herrschenden Meinung hinterher. Abweichende Positionen, die oft nicht einmal politisch sein müssen, sondern oft eine Frage der Einschätzung und Realitätsnähe sind, werden als rechts diffamiert.
Auch in der linken «Wochenzeitung» (WOZ) stand, Sie würden immer öfter für Goliath als für David einstehen und heute rechts stehen. Was halten Sie davon?
Meine Position heute ist nicht viel anders als vor 30 oder 40 Jahren. Aber wissen Sie, wenn Sie am Südpol stehen, können sie in jede Richtung schauen, und Sie gucken immer nach Norden.
Der Vorwurf, rechts zu sein, kann ein gesellschaftliches Todesurteil sein.
Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, was ich denken darf. Früher wurde ich als links diffamiert, heute als rechts.
Ärgert Sie das?
Natürlich ärgert einen das auch mal, aber man darf sich davon nicht beirren lassen, ich weiss ja, wo ich stehe. Ich habe als Journalist mehr kritische Beiträge gemacht und Bücher geschrieben über Rechte, über alte und neue Nazis als die meisten, die da den Mund aufmachen.
«Früher wurde ich als links diffamiert, heute als rechts» - Tagesanzeiger
Ein anständiges Mitglied der Linkspartei ist Fabio DeMasi. Leider verlässt er die Politik und hat der “Zeit” noch einmal Fragen beantwortet.
Twitter ist ein soziales Netzwerk der Eliten. Man wird von seinen eigenen Hooligans mit Herzchen belohnt und denkt, das sei die Realität. Die Mehrheit der Bevölkerung kann mit den Debatten auf Twitter aber wenig anfangen.
In den sozialen Medien wirst du belohnt, auf irgendeiner Empörungswelle zu reiten und Gräben zu vertiefen, statt Probleme zu lösen. Mir ist wichtig, dass wir die Fähigkeit erhalten, über das eigene Milieu hinaus im Meinungsstreit zu überzeugen. Das ist auf Twitter nicht möglich.
Die Grünen sind mir zu elitär. Das ist eine Partei der Besserverdienenden, wenn auch sicher mit vielen Wählern, die sozialen Ausgleich befürworten. Wenn es zu Schwarz-Grün kommt, gibt es sicher keine Besteuerung von großen Vermögen und keine Milliardeninvestitionen in Busse und Bahnen, sondern ein paar Windräder und vielleicht auch Frauenquoten in Aufsichtsräten. Die Frauen in Niedriglohnjobs dürfen dann aber weiter zu miesen Löhnen schuften. Ich bin Linker aus tiefster Überzeugung.
Wir müssen Gemeinsamkeiten betonen und nicht nur über Unterschiede reden. Davon profitiert am Ende nur die Rechte. In den USA versuchte Donald Trump mit Kulturkämpfen davon abzulenken, dass er Politik für die oberen ein Prozent machte. Jeder Mensch hat ganz viele Identitäten, sexuelle, religiöse, kulturelle, politische. Die überlagern sich. Wenn Menschen aber nur noch über einzelne davon definiert werden, verlieren wir die Gemeinsamkeiten. Amazon feiert sich in Werbevideos für seine Diversität, aber bekämpft schwarze Arbeiter, die Gewerkschaften gründen wollen.
"Ich bin ein Workaholic und jetzt gehe ich auf Entzug" - Zeit
Ronan Farrow und Jia Tolentino haben einen bewegenden Artikel über Britney Spears geschrieben, die seit 2008 unter Vormundschaft lebt und darüber seit 2019 einen Rechtsstreit führt. Ich wundere mich sehr darüber, dass aus feministischen Kreisen kaum Kritik darüber zu vernehmen ist, dass eine Frau seit 13 Jahren ausgebeutet wird und über keinerlei Selbstbestimmungsrecht verfügt.
Britney Spears’s Conservatorship Nightmare - The New Yorker
Zum Schluß der Rubrik, heute zweierlei Hörenswertes. Zum Einen eine sechsteilige Podcastserie mit dem Titel “Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?”.
Die sechsteilige Dokumentar-Podcast-Serie “Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?” erzählt die Geschichte vom Aufstieg und Fall des ehemaligen Radiomoderators Ken Jebsen, der in den letzten Jahren zu einem der einflussreichsten Verschwörungstheoretiker Deutschlands geworden ist. Wie konnte es dazu kommen? Was ist mit Ken Jebsen passiert?
Cui Bono erzählt aber auch die Geschichte vom Einfluss der Algorithmen von YouTube und Facebook auf die Verbreitung von "Fake News", vom erstarkenden Populismus in unserem Land, von systematischer russischer Desinformation, vom Erfolg von Verschwörungstheorien – und wie all diese Kräfte in Zeiten von Corona sich gegenseitig verstärken und unsere Gesellschaft destabilisieren und beschädigen.
Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?
Zum Anderen - schon etwas länger her, aber nicht minder hörenswert - ein Gespräch zwischen Ralf Fücks und Prof. Dr. Hedwig Richter.
Booktalk: Ist Demokratie eine deutsche Affäre? Darüber spricht der geschäftsführende Gesellschafter vom Zentrum Liberale Moderne, Ralf Fücks, mit der Zeithistorikerin Prof. Dr. Hedwig Richter von der Universität der Bundeswehr in München. Hedwig Richter beschreibt in ihrem neuen, für den Bayerischen Buchpreis nominierten Buch „Demokratie. Eine deutsche Affäre“ (C.H. Beck) die lange, vielschichtige Demokratiegeschichte Deutschlands. Sie zeigt auch, wie tief sie inzwischen in Deutschland verankert ist – und ist optimistisch für die Zukunft der Demokratie in Deutschland.
"Demokratie. Eine deutsche Affäre" Das Buchgespräch mit der Autorin Hedwig
Kultur
Coverversion der Woche: The Cure - Purple Haze
Heute im Jahr 1947 wurde Mitch Mitchell, Schlagzeuger der Jimi Hendrix Experience geboren. Deshalb habe ich mich für Purple Haze entschieden. Coverversionen sind am Interessantesten, wenn sie sich deutlich vom Original unterscheiden. Das ist bei dieser Version der Fall, bei der die Gruppe es schafft, das Stück in ihren eigenen Stil zu integrieren. Es wurde ursprünglich 1967 veröffentlicht und war musikalisch damals ein großer Schritt ins Neue. Die Interpretation von The Cure wurde 1993 aufgenommen.